Plädoyer für eine moderne grüne China Politik

Die bisherige Fixierung grüner Mandatsträger auf reine Menschenrechtspolitik, die in ihren Grundannahmen fragwürdig ist, führt in eine destruktive Ausrichtung und ist faktisch die Übernahme US Amerikanischer Interessenpolitik. China im 21. Jahrhundert ist ein anderes China als im 20. Jahrhundert und darauf sollten wir uns politisch einlassen.

„Komm lass uns freiheitlich miteinander leben, zusammen“

Dieser Aussage kann jede Person die ich kenne, ob in Deutschland, USA oder China zustimmen. Bemerkenswert ist aber, dass die meisten Menschen in Deutschland und den USA behaupten würden das sie dieses Vorhaben ungestört umsetzen können während Chinesen diese Möglichkeit ja ganz sicher nicht haben. Vor rund 20 Jahren habe ich das auch noch so gesehen.

17 Jahre auf verantwortlicher Position in China, haben meine Wahrnehmung von China aber komplett verändert. Ich gehöre zu den Gründungsmitgliedern der GRÜNEN die vor über 40 Jahren aus der damaligen SPV DIE GRÜNEN die heute sehr einflussreiche Partei von Bündnis 90/DIE GRÜNEN gegründet haben. Ich bin heute wie damals von unserer politischen Idee die uns aus Sorge um unsere Lebensgrundlagen zu dieser Gründung geführt hat, überzeugt.

Allerdings schaue ich heute mit Sorgen auf die fast täglichen Statements grüner Mandatsträger zu China und frage mich, warum gerade grüne Mandatsträger politisch sich so hinter falschen Anschuldigungen gegen China, einmauern. Haben die GRÜNEN, die mit ihren Themen die 2. Hälfte des 20. Jahrhundert geprägt haben, den Wandel der Zeit verpasst ? Beiträge von R. Bütikofer MdEP (– der mich unterdessen sogar auf Twitter blockiert nachdem ich verschieden kritische Bemerkungen machte), Margarete Bause, MdB, Sven Giegold, MdEP in Twitter und auch anderswo zeigen mir, dass es an der Zeit ist über eine moderne, zukunftsgerichtete Chinapolitik in unserer Partei offen zu sprechen. Denkverbote und sogenanntes "Ist doch offensichtlich"-Wissen sollten in unserer Debatte dabei keine Rolle spielen.

China ist das noch immer mit fast 1,4 Mrd. Menschen einwohnerstärkste Land der Welt. Es hat seit der Gründung der VR China im Jahr 1949 eine einmalige Leistung in der Weltgeschichte erbracht und mehr als 600 Mio. Menschen aus der Armut in den Mittelstand gehoben !

Wenn bei uns über China gesprochen wird, dann haben Viele das Bild eines totalitären Regimes im Kopf und sorgen sich um die Meinungsfreiheit. Die aktuellen Auseinandersetzungen um Hongkong wo Gut und Böse scheinbar klar getrennt sind, bestätigen das nochmal. China ist in der westlichen Beschreibung ein überdimensionierter Gulag das Hongkong die Freiheit entzieht und den Uiguren die Identität...

Erstaunlich bei diesen Beschreibungen ist nur, dass Chinesen, die ja davon betroffen sein müssten, heute weltweit die mit Abstand größte Touristengruppe darstellen, die jedes Jahr die Welt bereist und jedes Jahr auch mit Be

geisterung, in den vermeintlichen Gulag, wieder nach China zurück kehren. Sind alle Chinesen „Brainwashed“ ? Auch die sogenannten westlichen Expats wie ich einer bin, berichten meistens ganz anders über China, als die Narrative im Westen es darstellen. Phantasieren wir alle ?

Klar ist China kein demokratischer Staat nach westlichem Vorbild. Aber die Menschen dort können sich frei bewegen, sich frei entfalten und können tun und lassen was sie wollen solange sie die Einheit Chinas nicht in Frage stellen. Das ist der zentrale Unterschied gegenüber der UdSSR zur Zeit des kalten Krieges mit den USA.

Es ist gerechtfertigt, die chinesische Regierung immer wieder daran zu erinnern, dass sie auf dem Weg in die Moderne bürgerliche Freiheiten nicht einschränken, sondern ausweiten sollte. China entwickelt sich und hat in diesem Bereich auch noch kulturell und historisch bedingte Defizite an denen es arbeitet. Es ist aber absurd China fast ausnahmslos aus dem Blickwinkel unserer demokratischen Strukturen zu betrachten, und daraus massive Verstöße gegen Menschenrechte abzuleiten.

Wer China nur wegen angeblicher Verletzungen der Menschenrechte angreift und sonst sich nicht mit China befasst liegt historisch nicht nur komplett falsch, sondern vergibt auch Chancen auf eine positive globale Entwicklung. Leider ist dieser Blickwinkel zur Zeit aber die Hautperspektive bei politischen Stellungnahmen vieler grüner Abgeordneter (z.B. der Beitrag #163 vom 1. April von Reinhard Bütikofer). Dieser Blickwinkel ist nicht nur eindimensional, in vielen Punkten ist er auch noch falsch und deshalb ungerechtfertigt!

Das Leben der Menschen in China war in den 3000 Jahren Geschichte noch nie so gut und sicher wie heute !leben heute! Das ist Fakt und kann von niemandem der sich ernsthaft mit China befasst bestritten werden. China hat es geschafft sogar die Situation seiner Bauern deutlich zu verbessern! Verglichen mit Indien, dem weltweit größten „demokratischen“ Land, wo auf offener Straße immer noch Menschen wegen Vergehen gegen z.B. Coronagesetze verprügelt werden, hat China eine bemerkenswert positive Entwicklung gemacht und es gibt keinen Grund China auf allen Ebenen zu verdammen.

Wir befinden uns heute auf dem Schauplatz historischer Veränderungen. In den vergangenen 150 Jahren war der Westen und da speziell die Führungsnation USA bestimmend auf diesem Planeten. Das westliche liberale Wertesystem hat die Entwicklung der vergangenen 150 Jahre, meistens positiv, entscheidend mit geprägt, die tödlichen Nationalismen in den Hintergrund gedrängt und der Welt einen nie dagewesenen Wohlstand gebracht. Es hat aber auch in seinem Schlepptau mit moderner Produktion und Globalisierung die Grenzen des Planeten aufgezeigt und gleichzeitig es nicht geschafft globale Armut und regionale Konflikte zu vermeiden.

Jetzt auf einmal taucht China wieder aus einer knapp 200 Jahre währenden globalen Bedeutungslosigkeit auf, verfolgt zielstrebig seinen chinesischen Traum und stellt damit indirekt die globale Führungsrolle der USA und des Westens in Frage. Die Reaktion der USA unter Trump ist ein aggressiver globaler Wirtschaftskrieg gegen China der auch kaum Rücksicht auf sogenannte Verbündete nimmt, aber bisher nichts an dieser Entwicklung verändert. Die Welt sieht voller Sorgen, dass der Kampf der beiden Giganten am laufen ist und niemand will sich für den Einen oder den Anderen entscheiden.

Schon allein aufgrund seiner schieren Größe ist absehbar das China in kurzer Zeit die USA wirtschaftlich überflügeln wird. Die unterschiedlichen Auswirkungen der Coronakrise in beiden Ländern werden ihren Teil nochmal dazu beitragen. Diese Realität kann man nicht einfach hinter Vorwürfen verstecken mit denen man China aggressiv konfrontiert.

Die aktuell fast bürgerkriegsähnlichen anmutenden Auseinandersetzungen in den USA sind auch keine überzeugenden Argument dafür, dass demokratische Modell in China zu übernehmen. Nein, die Menschen in China sind zur Zeit nicht an unserem Demokratiemodell interessiert! Es geht ihnen gut ohne, sie fühlen sich sicher und sie haben die Coronakrise deutlich besser als jeden andere Nation der Welt bewältigt !

Wo befindet sich in dieser globalen Auseinandersetzung Europa und welche Position beziehen Bündnis 90/DIE GRÜNEN ?

Es ist jetzt die Zeit unsere Chinapolitik offen zu hinterfragen. Europa und Deutschland braucht eine Chinapolitik, die uns die Chance gibt, nicht in diesen Konflikt hinein gezogen zu werden. Auch wenn globale Probleme uns zur globalen Zusammenarbeit drängen, so hat Europa aber auch noch andere Interessen als China oder die USA. Was wollen wir also erreichen, wie sehen wir heute diese Entwicklung ?

Was ist China heute ?

In der Wahrnehmung meiner Partei ist China ein totalitärer, Menschenrechte missachtender Staat, der Minderheiten unterdrückt, verfolgt und einsperrt, offene Meinungen bekämpft und von einem Diktator auf "Lebenszeit" regiert wird.

Nach 17 Jahren in China schreibe ich jetzt hier: Diese Wahrnehmung ist falsch ! China hat berechtigte eigene Interessen, ist aber einfach nur anders und schwer von außen zu verstehen.

China war mehr als 2000 Jahre lang die Superpower auf diesem Planeten und für rund 150 Jahre im globalen Wettbewerb verschwunden nachdem es vom Westen in die Armut geführt wurde. Der Westen und westliche Werte haben dazu beigetragen das China im 21 Jahrhundert. wieder eine globale Kraft geworden und politisch nicht mehr zu übersehen ist! Ich bin mir sicher, dass die meisten Akteure in unserer Partei, sich gar nicht darüber im klaren sind wie sehr westliche Ideen China heute beeinflussen. Wir beurteilen China durch Narrative, die im Kampf um die globale Vorherrschaft, im wesentlichen durch die USA geprägt werden. Politik besteht nun mal darin durch Narrative die Wahrnehmung der Debatte zu prägen.

Wir GRÜNE sollten uns aber differenzierter mit diesem global bedeutenden Land befassen, wenn wir als politische Akteure Einfluss auf Lebensbedingungen und Zukunft auf unserem Planeten ausüben wollen!

China ist kein Menschenrechte ignorierendes Land und achtet sehr stark auf das Wohlergehen seiner Menschen.

Ich komme zu dieser Aussage zu China nach 17 Jahren auf verantwortlicher Position in einem deutschen Unternehmen, der Bereisung jeder Provinz und persönliche Diskussionen mit vielen Menschen in China. Ich habe nicht einen angstvollen Menschen in China getroffen, der wegen staatlicher Repression sich nicht mit mir unterhalten wollte. Ich habe aber gelernt, wie zurückhaltend Chinesen sich mit politischen Fragen per se befassen und wie viel Wert sie darauf legen ein Gespräch positiv zu führen und die vermeintlichen Erwartungen des Gegenübers immer im Auge habe. Ich habe aber auch Hass auf die Gesellschaft gesehen und den Missbrauch liberaler Spielräume.

In China gibt es wie überall auf der Welt, alle Facetten des menschlichen Lebens ! Und man sollte nie vergessen, dass China alleine mehr Menschen zu versorgen hat als alle „westlichen“ Länder zusammen! Organisatorisch eine Mammutaufgabe die weit über unsere Erfahrungen in Europa hinaus geht und von den chinesischen Regierungen gut bewältigt wird! Die Welt sollte froh sein dass China sehr stabil ist und alles daran setzen dass es so bleibt!

Ich hoffe und plädiere dafür, dass Bündnis 90/DIE GRÜNEN ihre Position zu China überdenken und auf Fakten aufgebaut, formulieren. Damit wäre schon viel gewonnen.

Wer seine Chinapolitik nur darauf konzentriert angebliche Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren schränkt faktisch seinen Einfluss bei anderen Politikfeldern ein!

Ich schlage unter anderem vor das Bündnis 90/DIE GRÜNEN eine China Anhörung organisieren, zu der dieses Mal neben kritischen China Stimmen auch Vertreter der chinesischen Regierung und der Freundschaftsgesellschaften eingeladen werden. Es wird Zeit das wir die Praxis, nur China Kritiker einzuladen wenn es um China geht, beenden. Auch China hat ein Recht seine eigene Position darzustellen!

Am Ende des Prozesses sollte eine rationale Chinapolitik stehen die sich auf Fakten und nicht auf Narrative bezieht und die uns die Möglichkeit gibt China selbstbewusst gegenüber zu treten und sich mit diesem Land realistisch zu befassen !

Auf keinen Fall sollten wir in die Falle der USA treten und uns vor den Karren ihrer Interessenpolitik einspannen lassen !

Was könnte das Ziel moderner, grüner Chinapolitik sein?

Über diese Frage sollte die Partei beraten.

China wird in wenigen Jahren die größte Volkswirtschaft auf unserem Planeten sein und ist bereits das Land mit der absolut größten Klimabelastung.

Trotzdem habe ich bis heute noch kein Dokument gesehen aus dem ersichtlich ist welche Ziele Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Umgang mit China verfolgen. Ich hoffe mal dass niemand bei Bündnis 90/DIE GRÜNEN die Idee verfolgt dieses riesige Land zu verändern und erwartet das China sich wie Deutschland organisiert. China ist keine repräsentative Demokratie und es ist illusorisch daran zu glauben es würde sich in absehbarer Zukunft dahin entwickeln. Mit China muss man so umgehen wie es existiert!

China kann man als Partner für ein zukunftsfähige Klimapolitik nicht vernachlässigen bzw. ignorieren!

Es ist aber auch das Land, das sich in Afrika erfolgreich wirtschaftlich einbringt und zum größten Handelspartner aufgestiegen ist.Chinesen haben eigene Interessen und helfen dabei auch Afrika sich zu entwickeln, egal was westliche Kommentatoren davon halten. Die Fakten sind auf Seiten Chinas und wenn China ruft, dann kommen alle afrikanischen Regierungen zusammen!

Europas dunkler Fleck ist das Mittelmeer, die Seeverbindung zwischen Afrika und Europa, auf dem immer noch viele Flüchtlinge beim Versuch nach Europa zu kommen, um dem perspektivlosen Leben in ihrer Heimat zu entrinnen, von den Europäern im Stich gelassen, ihr Leben verlieren. Dieses Verhalten Europas ist unwürdig! Wer Flüchtlingsschicksale auf Dauer vermeiden will, muss dazu beitragen, dass alle Länder in Afrika in Zukunft ausreichend gute und menschenwürdige Lebensbedingungen für ihre Einwohner bereit stellen können. Alleine werden es viele Länder dort nicht schaffen. Basierend auf unserem humanitären Ansatz haben wir ein Interesse daran die Lebensbedingungen in allen afrikanischen Ländern zu verbessern.

Reine Entwicklungshilfe ist in Ausnahmesituationen hilfreich und notwendig, aber nachhaltig trägt nur der Aufbau von Infrastruktur und die faire Teilhabe am globalen Wirtschaftskreislauf dazu bei, Flüchtlingsströme zu reduzieren. Es bietet sich an, dass China und Europa in Afrika zusammen arbeiten. Eine derartige Kooperation trägt nachhaltig zur Verringerung von Flüchtlingsströmen bei und gibt Europa auch Mitsprache Möglichkeiten.

Wir von Bündnis 90/DIE GRÜNEN müssen uns die Frage stellen wie wichtig es uns ist, den Einfluss Deutschlands in Afrika zu verstärken. Wollen wir nur draußen stehen und aufs Spielfeld rufen, oder wollen wir mit spielen und gestalten. Diese Frage steht, ob wir es wollen oder nicht, in direktem Zusammenhang mit unserer Chinapolitik ! Treten wir in Afrika in Konkurrenz zu China auf, oder kooperieren wir und bündeln unsere Möglichkeiten, um den ärmsten Ländern dort zu helfen in die Zukunft zu gehen ?

Niemand bestreitet das Menschenrechtsfragen im Umgang mit China eine Rolle spielen. Und es ist Teil grüner Politik überall da wo wir Menschenrechte bedroht sehen, auch unsere Stimme zu erheben. Aber auch GRÜNE müssen sich fragen lassen wie Menschenrechte definiert werden. Ist es wirklich elementar das eine Regierung in freien gleichen und geheimen Wahlen bestimmt wird ? Sind die Menschenrechte wirklich gefährdet wenn das Regierungssystem nicht auf freien Wahlen unserer Art aufsetzt ?

Die Rassendiskriminierungen und Realitäten in den USA und Indien sind dafür keine überzeugenden Beispiele!

Für mich reicht Menschenrechtspolitik deutlich über den nervös fuchtelnden erhobenen Zeigefinger hinaus.

GRÜNE Politik war für mich immer mit klaren sozialen und ökologischen Zielen und nachprüfbaren Erläuterungen verbunden und sollte zu einer weltweit friedlichen Entwicklung beitragen.

GRÜNE Politik war auch immer unabhängig, antinationalistisch, multikulturell und tolerant gegenüber anderen Kulturen.

Ich bin mir sicher wenn wir diese Grundsätze auch in der Chinapolitik beachten dann werden GRÜNE auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der globalen Profilierung Deutschlands spielen. Deutschland hat während des Irak Krieges, der von Deutschland unter dem grünen Außenminister Joschka Fischer abgelehnt wurde, global eine sehr positive Reputation gewonnen. Ich bin damals oft von Chinesen auf diese positive Entscheidung angesprochen worden. Im Interesse Deutschlands und Europas sollten wir Wert darauf legen eine eigene, grüne europäische Chinapolitik zu formulieren.

Ich bin mit meinen konkreten Erfahrungen in China bereit dabei zu helfen da ich es für die Zukunft Europas als unverzichtbar ansehe, ein modernes China Bild in meiner Partei und in Europa zu etablieren.










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Für alle die mehr über das heutige China wissen wollen hier eine hoch aktuelle Buchempfehlung. Der ehemalige singapureanische Diplomat Kishore Mahbubani erlaeutert brilliant warum westliche Analysen ueber China heute einfach outdated sind.